„Wir wollen heute glatte, aufgeräumte Frauenkörper“

Dr. Anna-Katharina Meßmer ist Expertin für Intimchirurgie — nicht als Ärztin, sondern als Soziologin. ELTERN-Autorin Leonie Schulte hat sie in einem Düsseldorfer Café zum Interview getroffen. Als das Gespräch immer intimer wurde, zogen die beiden in Meßmers Büro um — Interview für ELTERN, Juni 2018

 Frau Meßmer, für Ihre Doktorarbeit haben Sie sich mit dem boomenden Feld der Intimchirurgie befasst. Welche Eingriffe werden am häufigsten durchgeführt? 

Meßmer: Intimchirurgie ist so ein Sammelbegriff für ganz viele verschiedene Eingriffe. Am häufigsten durchgeführt werden Schamlippenverkleinerungen. Meistens werden die inneren Labien so weit gekürzt, dass sie nicht zwischen den äußeren hervorschauen. Der Begriff, der dafür immer verwendet wird, ist „Brötchen“ oder „geschlossene Muschel“. Der zweithäufigste ist die Vaginalverengung. Dann gibt es noch weitere Eingriffe, etwa die Unterspritzung des G-Punktes. Da zeigt sich schon: Es geht meistens darum, einen sehr aufgeräumten, eingehegten, ordentlichen und sehr jugendlichen weiblichen Körper herzustellen. Oder es geht darum, den weiblichen Körper besser an Penetrationssex anzupassen. 

Welche Eingriffe sind denn ästhetischer Natur und wie viele tatsächlich medizinisch angeraten? 

Ästhetisch-plastische Eingriffe sind nie medizinisch notwendig. Wenn es eine medizinische Indikation gäbe – wie etwa eine Beckenbodenstraffung bei Inkontinenz –, würde das nicht zu den plastischen Eingriffen zählen. Aber natürlich gibt es eine Grauzone.

Der Dammriss also, der nach der Geburt genäht wird, ist kein schönheitschirurgischer Eingriff? 

Nein. Wenn aber eine Frau zwei Jahre nach der Geburt das Gefühl hat, der Dammriss ist damals nicht gut genäht worden, und möchte etwas verändern, liegt es im Ermessen des behandelnden Arztes oder der Krankenkasse, zu entscheiden, ob es ein ästhetischer Eingriff ist oder medizinisch notwendig. Die Krankenkassen zahlen die schönheitschirurgischen Eingriffe nicht, bis auf wenige Ausnahmen – zum Beispiel, wenn die Labien, also die Schamlippen, wirklich extrem groß sind. 

Was heißt denn extrem groß?

Ja, da sind wir genau beim Thema. Es gibt keinen vorgegebenen Katalog über Längen oder Weiten, an dem man sich orientieren würde. So gibt es beispielsweise in Medizinbüchern häufig noch die Definition, dass die inneren Labien von den äußeren umschlossen werden sollten. Das ist aber in der Realität nur eine von ganz vielen Ausprägungen. Wenn man überhaupt von einem Normalfall sprechen will, dann wäre das eher der, dass eine innere Labie oder beide rausgucken oder dass die Klitorisvorhaut vorsteht. Es gibt ganz unterschiedliche Varianten, auch wie tief, weit und dehnbar weibliche Genitalien sind. Es gibt eben nicht die perfekte Norm-Vulva.

Und dennoch beschäftigt viele Frauen die Sorge, nach der Geburt zu weit zu sein. 

Letztlich handelt es sich um Muskelgewebe, das eben dehnbar ist, reißen und sich auch wieder zurückbilden kann. Ich hab manchmal das Gefühl, uns fehlt die Geduld. Die Geduld zu akzeptieren, dass sich der Körper nach der Geburt verändert, dass er Zeit braucht, um zu heilen und sich weiterzuentwickeln. Ich möchte gar nicht immer diesen Begriff Rückbildung verwenden. Natürlich verändert sich ein Körper durch die Geburt, und es braucht auch seine Zeit, bis er dann einen neuen Normalzustand erreicht hat. 

Trotzdem spielt die Sexualität früher oder später eine Rolle. 

Ja. Aber interessant ist doch, dass wir nicht darüber sprechen, dass der Mann nach der Geburt versuchen könnte, der neuen Frau gerecht zu  werden. Sondern dass die Haltung immer die ist, die Frau muss zu ihrem Mann und zu seiner Sexualität passen. 

Für Ihre Doktorarbeit haben Sie Websites von Intimchirurgen analysiert. Was haben Sie herausgefunden? 

Das Frauenbild, das da transportiert wird, ist in vielen Fällen ein sehr eindimensionales, eingeschränktes. Ein Beispiel: Einige Ärzte werben sogar damit, dass man die Vagina an die Gegebenheiten des Partners anpassen kann, um so quasi die Partnerschaft zu retten. Das beschreibt, wie wir Weiblichkeit heutzutage denken: Erstens, die Vagina an den Partner anpassen zu lassen heißt, Frauen sind per se heterosexuell. Zweitens sie sind per se monogam. Drittens sind sie verantwortlich für eine funktionierende Partnerschaft. Und ein gutes Sexleben.

Ich glaube, die größte Provokation, die man sich heutzutage leisten kann, ist, sich gehen zu lassen und keinen Bock auf Sex zu haben.

Und welche Erwartungen werden noch an Frauenkörper gestellt?

Gerade beobachte ich eine interessante Verschiebung: Frauen müssen heute nicht nur schlank, sondern trainiert und schlank sein. Sie sollen definierte Muskeln haben, die harte Arbeit an einem selbst soll man sehen, und so wie sich das für die Oberarme gehört, so muss es im Intimbereich auch aussehen. Definierte Muskeln, es soll straff, kräftig und stark sein. Nichts daran darf schlaff sein.

Also ein starker Beckenboden? 

Ja, ein starker Beckenboden, eine starke Vagina, ein starker Orgasmus. 

Aber das ist ja auch nicht verkehrt, oder? 

Ja, klar. Ich bin auch nicht dagegen, einen starken Beckenboden zu haben. Tatsächlich ist es ja auch so, dass ein starker Beckenboden beeinflussen kann, wie man Lust empfindet. Aber es kippt, wenn es eine Normierung und eine Erwartung ist und eine Frau keine Möglichkeit hat, selbst darüber zu entscheiden, wie sie sich fühlen möchte. Das Schlimme an diesen körperlichen Normen ist ja, dass wir permanent daran scheitern, diesen Idealzustand zu erreichen. Körper sind nun mal undicht und unzuverlässig, sie sind archaisch und widerspenstig. Und eben nicht glatt und aufgeräumt und nicht kontrollierbar. 

Ist ein intimchirurgischer Eingriff denn ein emanzipatorischer Akt, im Sinne von „dein Körper ist nicht dein Schicksal“? Oder ist es doch Unterwerfung, Anpassung? 

Ästhetische Chirurgie ist meines Erachtens immer Befreiung und Unterwerfung zugleich. Natürlich ist es ein Akt der Befreiung zu sagen, ich ändere meinen Körper, so wie ich das möchte. Gleichzeitig ist es eine Unterwerfung, eine Anpassung an ein Schönheitsideal und an gesellschaftliche Normen. Es ist ein Akt der Befreiung im Rahmen sehr enger Vorstellungen darüber, wie der Körper auszusehen und wie er sich anzufühlen hat. Da muss jede und jeder für sich entscheiden. Aber am Ende bedeutet es natürlich auch: Je mehr Frauen ihren Körper chirurgisch an diesen vermeintlichen Idealzustand anpassen lassen, desto höher wird der Druck auf alle anderen.

Als sie vorhin mitbekam, worum es hier in dem Interview geht, sagte eine Frau am Nachbartisch, dass sie von ihrer Gynäkologin zu eng genäht worden sei. Erstaunlich, wie schnell die Frauen dann doch über solche Themen sprechen. 

Das finde ich so spannend, wie viele Geschichten Frauen dazu beizutragen haben und wie dankbar alle sind, wenn es eine Möglichkeit gibt, diese Erfahrungen zu teilen. Ich glaube, dass das viel wichtiger ist, als das ganze Gerede darüber, was intimchirurgisch möglich ist. 

Mein Eindruck ist auch, dass einfach auch noch viel Unwissenheit herrscht. 

Ja, wir brauchen Austausch und Informationen. Wenn wir uns darüber unterhalten, wie unterschiedlich Körper sind und dass wir am Ende vielleicht mit ganz ähnlichen Dingen zu kämpfen haben, dann nimmt uns das die Unsicherheit. Das Problem ist ja, dass wir so eine starke Vereinzelung bei diesen Themen haben. Wenn eine Frau zum Beispiel keinen vaginalen Orgasmus bekommen kann, ist ihre erste Reaktion ganz häufig: „Das liegt an mir, irgendetwas mache ich falsch, etwas stimmt mit meinem Körper nicht. Ah okay, vielleicht kann man das medizinisch beheben.“ Ihre erste Reaktion ist nicht zu sagen, Moment, habe ich vielleicht eine falsche Vorstellung davon, wie Sexualität funktioniert, wie meine Sexualität funktioniert? Wir zweifeln immer erst an uns selbst und versuchen uns zu reparieren, anstatt zu hinterfragen, ob wir eine falsche Vorstellung von etwas haben.

Und diese Vorstellung ist auch, gleich nach der Geburt wieder sexuell attraktiv und aktiv zu sein? 

Ja, viele Frauen glauben, das müssten sie sein. Auch das hat etwas mit gesellschaftlicher Erwartung zu tun. In der Geschichte des weiblichen Körpers ging es lange darum, weibliche Lust in den Griff zu bekommen, sie einzuhegen. Heute ist die Erwartung an die Frau, Lust zu haben und einen Orgasmus zu bekommen. Vor und nach einer Geburt. 

Grundsätzlich ist es ja auch schön, Lust zu haben. 

Grundsätzlich ist es total großartig, Lust zu haben. Aber es muss ja auch die Möglichkeit geben zu sagen: Ich hab gerade ein Kind zur Welt gebracht, und andere Dinge sind wichtiger.