New Balance

WIE WIR VEREINBARKEIT HEUTE LEBEN

Job und Kind? Klar! Wir sind vereinbar wie keine Generation vor uns. Glücklicher sind wir deshalb nicht. Wir brauchen mehr Modelle, um Familienleben und Beruf zu ermöglichen – einige gibt es bereits.

Die meisten von uns beginnen ihre Artistenkarriere im Erwachsenenalter. Genauer gesagt dann, wenn wir aus der Elternzeit in den Job zurückkehren. Dann nämlich fangen wir an zu jonglieren:
Kinder, Karriere, Haushalt und bitte auch ein bisschen von uns selbst, das alles sollen wir irgendwie in Bewegung halten. Das können wir natürlich versuchen. Oder wir pfeifen auf den ganzen Zirkus und denken alles neu. Dass es kompliziert werden könnte, damit haben wir ja gerechnet. Doch wie viele Bälle wir da tatsächlich durch die Luft wirbeln sollen, wissen wir erst, wenn wir mittendrin sind in diesem Trubel aus Babybrei, Kundencalls und Wäschebergen. Dass wir zwar vieles planen können, ein bellender Husten aber schon die ganze Nummer zu Fall bringen kann. Dass wir emanzipiert und engagiert sind – und uns trotzdem Sorgen um die Rente machen müssen. Und dass wir uns am Ende des Tages immer noch zu häufig fragen: Bin ich wirklich eine gute Mutter? Und schwups wird dieser Jonglage-Akt noch komplizierter.

Dabei sind wir in Deutschland in Sachen Vereinbarkeit seit der Einführung des Elterngeldes 2007 schon ein ganzes Stückchen weiter: Heute kehren deutlich mehr Mütter schneller und mit höherer Stundenzahl an ihren Arbeitsplatz zurück. Inzwischen fängt fast die Hälfte aller Mütter nach dem ersten Geburtstag des Kindes wieder an zu arbeiten; 2006 war es gerade mal ein Drittel. Auch die Zahl der Väter in Elternzeit steigt. Langsam, aber sie steigt: Den Vorläufer des Elterngeldes, das sogenannte Erziehungsgeld, haben Männer so gut wie nie in Anspruch genommen. Waren es zur Einführung des Elterngeldes 21 Prozent der Väter, die diese Leistung beantragten, geht heute jeder dritte Vater in Elternzeit.

Väter arbeiten häufiger als kinderlose Männer. Und trotzdem tragen noch immer die Frauen die größte Vereinbarkeitslast:
Sie beziehen im Schnitt 11,7 Monate Basis-Elterngeld, die Männer dagegen nur drei Monate. Außerdem kehren Mütter zwar schneller zurück, aber immer noch in Teilzeit, der Durchschnitt liegt bei 20 Wochenstunden. Junge Väter dagegen arbeiten sogar häufiger und länger als kinderlose Männer, im Schnitt 41 Stunden die Woche. Die allermeisten Paare (70 Prozent) leben also das Zuverdiener-Modell, in dem der Mann voll arbeitet und die Frau eben dazuverdient. Trotz Berufstätigkeit übernimmt die Frau dann noch den Großteil dessen, was an Kinderbetreuung und Haushalt obendrauf kommt. Noch mehr Bälle also, die wir rotieren lassen.
Zufrieden mit dieser Aufteilung sind übrigens beide nicht: Laut Väterreport 2018 wünschen sich 60 Prozent der jungen Eltern eine gleichberichtigte Aufteilung, wenn es darum geht, sich um Kinder, Haushalt und den eigenen Beruf zu kümmern. Die allermeisten Väter hätten gerne mehr Zeit für ihre Familie. Kein Wunder, Studien zeigen: Männer, die länger Elternzeit nehmen, haben eine bessere Bindung zu ihren Kindern und auch die Qualität der Partnerschaft steigt, wenn sich Männer mehr in der Familie engagieren. Warum teilen sich dann Paare nicht gleich auf?
Ein Grund dafür ist, dass es sich als Mutter oft kaum lohnt zu arbeiten, zumindest wenn man mal aufs Geld schaut. Da ist zum einen das ewig zitierte Ehegattensplitting. Es begünstigt das Zuverdiener-Modell derart, dass eine Vollzeitstelle wenig lukrativ erscheint. Und da Männer in der Regel auch noch mehr verdienen als Frauen, sind sie es dann, die das Geld in vollem Umfang mit nach Hause bringen. Mütter verdienen sogar weniger als Frauen ohne Kinder. Sieben bis zehn Prozent weniger Stundenlohn bekommen Mütter im Vergleich zu kinderlosen Frauen und nach der Rückkehr in ihren Beruf verdienen Frauen mit Kindern knapp 26 Prozent weniger als zuvor. Motherhood Income Gap wird das genannt. Gleichberichtigung muss man sich also leisten können. Instagram-Mütter als überhöhtes Ideal. Es geht aber nicht nur ums Geld: Hatten sich Paare vor der Geburt des Kindes die Aufgaben noch gleichberechtigt geteilt, machen sie danach plötzlich eine Rolle rückwärts. Die Frau zu Hause, der Mann als Familienernährer – diese lang erlernten Rollenmuster galten viele Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte als Ideal. Und zu allem Überfluss sehen wir dann auch noch diese perfekten Mütter auf Instagram, mit ihrem schönen Haus und tollen Klamotten, während wir verzweifelt nach einer Bluse ohne Kürbisflecken suchen. Sich von erlernten und überhöhten Mutter-Idealen zu befreien, kostet Kraft. Kraft, die wir mitten in diesem Balance-Akt gar nicht haben. Schließlich sind wir gerade in der Rushhour des Lebens. So nennen Soziologen jene Phase um die 30, in der wir Familien gründen und wichtige Weichen im Job stellen. Das heißt aber auch: So anstrengend wie jetzt wird es im Leben wohl nie wieder werden! Dazu üssen wir nur halbwegs unfallfrei durch diese Phase kommen. Damit uns beim Jonglieren nicht alles auf den Kopf fällt, sind auch andere gefragt: die Politik zum Beispiel, und die Arbeitswelt. Denn wer sagt denn, dass wir diese Nummer hier ganz alleine durchziehen müssen?
Wie effektiv politische Entscheidungen sein können, hat das Elterngeld gezeigt. Doch dabei darf es eben nicht bleiben.
Beispiel Kinderbetreuung: Zwar hat sich die Lage verbessert, doch fehlten 2019 laut Institut der Deutschen Wirtschaft knapp 320.000 U-3-Plätze. Und trotz Gute-KiTa-Gesetz fehlt es an der finanziellen Ausstattung für einen adäquaten Betreuungsschlüssel und geschultes Personal, um die Kinder guten Gewissens in die Kita geben zu können. Gleiches gilt beim Thema Ganztagsschule. Wir müssen die Rollenverteilung neu denken. Wollen wir Lösungen für die Vereinbarkeitsprobleme finden, müssen wir auch die Rollenaufteilung von Männern und Frauen neu denken. Wir könnten uns zum Beispiel vom Ehegattensplitting verabschieden und stattdessen Familien noch stärker steuerlich begünstigen. Und solange wir von „Vätermonaten“ sprechen und damit lediglich zwei Partnermonate meinen, wird sich auch an der Aufteilung der Elternzeiten wenig ändern. Dabei brauchen wir Väter, die sich mit den Frauen solidarisieren und transparent Entscheidungen für die Familie treffen. Die etwa den Kinderkrankenschein nehmen, statt sich selbst krankzumelden. Nur so sehen Kollegen, Führungskräfte und auch die Gesellschaft, dass Vereinbarkeit eben alle betrifft. Immerhin haben viele Unternehmen inzwischen genau das erkannt. Väter rücken bei Personalern zunehmend in den Fokus, fand das Familienministerium in einer Studie heraus.
Immer mehr Arbeitgeber berücksichtigen demnach explizit auch Männer bei den Maßnahmen zur besseren Vereinbarkeit. Vor 15 Jahren war das noch undenkbar. Und doch mache es die Präsenzkultur heute immer noch vielen Eltern schwer, so Lea-Therese Strobel von der TU München. „Offiziell ist es in vielen Unternehmen zwar erlaubt, etwa Stunden zu reduzieren oder von zu Hause aus zu arbeiten. Aber es wird mitunter eben doch nicht gern gesehen, wenn Menschen die Vereinbarkeitsmöglichkeiten wahrnehmen“, sagt sie. Für die Studie „Kaleidoscope – Wie wir uns die Zukunft organisieren“ hat Strobel gemeinsam mit anderen Forschern nicht nur die Situation in deutschen Unternehmen analysiert, sondern auch weltweit innovative Lösungen zur besseren Vereinbarkeit gefunden – von klassischen Eltern-Kind-Büros über Maternity-Concierge und Muttermilch-Versand bis hin zum Kinderfahrservice. New Work wirkt durch das Mindset, nicht durch Kickertische.
Viele Experten sind sich aber einig: Das wirkungsvollste Instrument zur gelingenden Vereinbarkeit ist der kulturelle Wandel. Das Buzzword hierzu ist New Work, jener Ansatz, den der Philosoph Frithjof Bergmann schon vor über 40 Jahren erdacht hat. Und der uns heute dazu bringt, nicht nur über Homeoffice und Teilzeitmodelle zu sprechen, sondern Arbeit völlig neu zu
denken. Als Arbeit, die nichts Gezwungenes ist, sondern etwas, das man wirklich will. Die den Menschen in seiner gesamten Persönlichkeit berücksichtigt und wertschätzt.
Dabei darf New Work nicht nur auf dem Papier stehen und als Lockmittel für neue Mitarbeiter:innen gelten. Offene Bürokonzepte und Kickertische allein bringen nämlich gar nichts, das Mindset ist entscheidend. „Es ist eine Frage der Haltung und der Organisationskultur“, sagt Dr. Vanessa Giese, Journalistin und Innovationsbegleiterin, „und die muss von oben gelebt werden.“ Wichtig sei auch, klare Regeln und Erwartungen zu kommunizieren. Eine neue Arbeitsorganisation dürfe nicht zu einer ständigen Erreichbarkeit, zum Entgrenzen von Privatem und Beruflichem führen.

Wird New Work aber im Kern richtig gelebt, folgen Möglichkeiten zur besseren Vereinbarkeit bestenfalls von ganz alleine. Weil Unternehmen versuchen, mehr und mehr auf die individuellen Bedürfnisse in den verschiedenen Lebensphasen Rücksicht zu nehmen und flexible Lösungen zu finden, die für Mitarbeiter:innen und Arbeitgeber:innen gleichermaßen passen.
Ein Krankenhaus etwa kann seinen Pflegekräften vielleicht kein Homeoffice anbieten, es kann aber dafür sorgen, dass Mitarbeiter:innen andere Maßnahmen zur besseren Vereinbarkeit annehmen, und das mit einem guten Gefühl.
Dann könnten sie beim kranken Kind bleiben, weil keiner einen blöden Kommentar abgibt. Sie könnten Stunden reduzieren, weil der nächste Karriereschritt auch noch in ein paar Jahren möglich ist. Sie könnten die Kinder um 15 Uhr aus der Kita holen, weil alle wichtigen Meetings schon am Vormittag gelaufen sind.
Was nach Zukunftsmusik klingt, ist in einigen Unternehmen bereits Wirklichkeit. Große Konzerne wie Adidas oder SAP sind von dem New-Work-Ansatz durchdrungen und landen regelmäßig auf den Spitzenplätzen bei der Mitarbeiter:innenzufriedenheit.
Auch mittelständische Unternehmen, öffentliche Träger oder kleine Start-ups haben den Wert einer neuen Haltung begriffen und entwickeln ganz eigene Methoden. Die Arbeitswelt ist also auf dem Weg.
Der demografische Wandel wird Eltern in die Karten spielen. Es ist auch der Fachkräftemangel, der sie dazu zwingt. Der demografische Wandel wird die Probleme für Unternehmen noch weiter verschärfen – und jungen Eltern in die Karten spielen. Sie werden in Zukunft noch bessere Verhandlungspositionen haben, davon ist Professorin Irene Gerlach vom
Forschungsinstitut Familienbewusste Personalpolitik überzeugt.
„Die Arbeitswelt muss einfach akzeptieren, dass Mitarbeiter eben nicht nur Arbeitskräfte sind, sondern auch Familienmenschen. Und ihnen vermitteln: Wir kümmern uns und unterstützen euch!“
Vielleicht liegt in dieser neuen Art über Arbeit zu denken tatsächlich eine Chance, dass wir bei all der Plackerei auch die nicht aus dem Blick verlieren, um die es hier bisher noch gar nicht ging: die Kinder. Die haben nämlich ein Recht auf ihre Eltern. Und wir sollten ein Recht darauf haben, die Arbeit zu machen, die wir wirklich wollen. Nicht jeder will Artist sein. Vielleicht sind manche lieber Clowns. Und wieder andere haben überhaupt keine Lust auf den ganzen Zirkus.