Meine neue Rolle

Wer ein Baby bekommt, wird Mutter, wird Vater. Doch was heißt das heute eigentlich? Was beeinflusst unser Rollenbild? Was verbirgt sich hinter dem Begriff „Mental Load“? Und wie kommt es, dass wir die Rollen in der Familie oft so traditionell aufteilen – obwohl wir etwas ganz anderes vorhatten? Wir haben bei Familien und Forschern nach Antworten gesucht – Titelgeschichte für ELTERN, Januar 2019

Die ersten Tritte gegen die Bauchdecke sind kleine Vorwarnungen. Als würde das Baby sagen: Ich werde hier alles durcheinander bringen, stellt euch schon mal darauf ein! Und wir beginnen erstmals zu ahnen: Da ist nicht nur ein neuer, kleiner Mensch, der Platz findet in unserem Leben, er macht auch aus uns ganz neue Menschen.

Wir werden Mütter und Väter — es sind die Rollen unseres Lebens. Und mit ihnen fangen wir das Leben noch mal von vorne an. Bis vor 20, 30 Jahren waren diese Rollen ziemlich klar: Der Vater verdiente das Geld, die Mutter blieb zu Hause, oft bis das jüngste Kind in die weiterführende Schule kam.

Heute möchten viele Paare die Familienarbeit anders verteilen: Mütter hätten gerne mehr Zeit für den Job, Väter wünschen sich mehr Zeit mit den Kindern. Dazu eine gleichberechtigte Aufteilung der Hausarbeit. Doch längst nicht immer kriegen wir das hin.

Selbst Paare, die in kinderlosen Zeiten die meisten Alltagsaufgaben paritätisch aufgeteilt haben, machen oft eine Rolle rückwärts, wenn ein Baby kommt. „Traditionalisierungseffekt“ nennen das Wissenschaftler wie Dr. Sabine Buchebner-Ferstl vom Österreichischen Institut für Familienforschung. Und gemeint ist damit: Am Ende machen wir es doch wieder so ähnlich wie unsere Eltern – und reiben uns zwei, drei Jahre nach der Geburt des ersten Kindes verwundert die Augen: Wie sind wir da bloß reingerutscht?

Wer nach den Gründen sucht, stößt zu allererst auf den Gender Pay Gap: Weil Frauen in unserem Land immer noch 21 Prozent weniger verdienen als Männer, ist die Frage, wer wegen des Babys erst mal weniger arbeitet, oft ziemlich schnell beantwortet.

Dazu kommen Gewohnheit und Pragmatismus: Rollen und Zuständigkeiten neu und anders zu verteilen, ist mühsam. Wenn er sich plötzlich mit dem Unterschied von 40- und 60-Grad-Wäsche beschäftigen soll und sie zum ersten Mal die Stromtarife checken will, kostet das Kraft und Zeit. In einem vollgepackten Alltag mit kleinen Kindern haben wir oft beides nicht. Und so machen wir es lieber so wie bisher: Jeder erledigt, worin er Routine hat und was er gut und schnell wegschafft.

Dabei steckt die Tücke im Detail: Denn in einem Familienalltag verstecken sich viele kleine und große Aufgaben, die fast unsichtbar scheinen, die aber trotzdem erledigt werden müssen. Windeln zum Beispiel sollten nicht nur gewechselt, sondern auch entsorgt und neu gekauft werden.

Und ein Paket davon muss spätestens morgen in die Kita, die haben schon zweimal angemahnt. Zum Kinderarzt müssen wir nicht nur gehen, wir müssen uns auch übers Impfen informieren, einen Termin ausmachen und wissen, wann der nächste ansteht. Mental Load, gedankliche Last, heißt der Begriff, der für all diese sichtbaren und unsichtbaren Orga-Aufgaben, für die inneren To-Do-Listen im Familienalltag steht. Und für die fühlen Mütter sich immer noch mehr verantwortlich als Väter.

Warum? Weil wir die alten Rollenbilder in uns tragen. Genauso wie die Menschen uns herum, die uns verantwortlich machen für die Todo-Listen: U-Untersuchung verschlampt? Da hätte Mama doch dran denken müssen. Der Kuchen für die Adventsfeier in der Kita ist gekauft? „Super, dass du überhaupt kommen konntest“, sagt die Erzieherin zum Papa. Und Mama steht daneben und hat ein schlechtes Gewissen, weil sie nicht selbst gebacken hat. Das wiederum hat etwas mit tief verankerten Routinen zu tun. „Dass Frauen zum Beispiel Kindererziehung, Fürsorge und Pflegetätigkeiten übernehmen, sind Zuständigkeiten, die seit Jahrhunderten eingeübt sind. So fallen Mütter manchmal in Verhaltensmuster, die sie selbst eigentlich gar nicht wollen“, sagt Professor Michael Meuser, Soziologe an der TU Dortmund.

Und wer in der Kleinkindphase erst einmal bestimmteAufgaben übernommen hat, wird sie mit großer Wahrscheinlichkeit auch in Zukunft erledigen. Stereotype Verhaltensmuster und Rollenzuschreibungen setzen sich damit fort.

Auch zur Zeit unserer Eltern und Großeltern passten diese Stereotype nicht zu jeder Mutter und jedem Vater. Allerdings waren sie wenigstens eindeutig und es gab einen gesellschaftlichen Konsens. Heute hingegen werden wir durch doppelte Botschaften zusätzlich verwirrt: Wir Mütter sollen uns für unsere Kinder aufopfern, aber bitte keine Hausmütterchen sein. Väter sollen sich um ihre Kinder kümmern, tragen sie das Baby dann im Tuch vor der Brust, finden das viele aber doch irgendwie unmännlich….

Was bleibt ist das Gefühl, es niemandem Recht machen zu können — und die mentale Last wird noch schwerer. Wie gehen wir damit um? Es ist unmöglich, sich von Rollenerwartungen komplett zu befreien.

Ein erster Schritt ist aber, sich diese bewusst zumachen und zu hinterfragen. Darüber zu sprechen, mit dem Partner, aber auch öffentlich. Welche Rollen passen zu uns, wie wollen wir die Arbeit verteilen, wer soll sich um was kümmern – um bei diesen Fragen frei entscheiden zu können, brauchen Eltern die richtigen Rahmenbedingungen: Die gleiche Bezahlung für Mann und Frau zum Beispiel. Eine Unternehmenskultur, die Männern und Frauen gleichermaßen Angebote zur besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf macht. Dazu qualitativ hochwertige Kinderbetreuung und – die Aufwertung von Arbeiten, die mit Fürsorge und Care zu tun haben.

Denn: Nicht zuletzt geht es beim Thema Mental Load auch ums Gesehenwerden, um das Aussprechen von Ärgernissen, vor allem aber auch um Wertschätzung für all die Dinge, die wir im Familienalltag vermeintlich nebenbei erledigen: Danke, dass du das Hemd aus der Reinigung geholt, neue Schnürsenkel besorgt, ans Geschenk für Oma gedacht, das Mobile an die Decke montiert, die Matschhose gefunden, die Steuer gemacht …. hast. Danke! Ja, wir können gleich damit anfangen unseren Partnern und auch uns selbst mal Anerkennung dafür auszusprechen, was wir alles leisten.